Wer war schuld am Tod Jesu? V b-3

Jüdinnen und Juden siedelten im gesamten Imperium Romanum. Wegen des Ersten Gebotes verehrten sie nur einen einzigen, ihren eigenen G‘tt. Sie lehnten die Bilder- und Götzenkulte ihrer Umgebung für sich ab und nahmen am vom Polytheismus (Mehrg’ttglauben) geprägten Gesellschaftsleben nicht teil. Weil sie keine Standbilder als Zeugnis ihres G‘ttes aufstellten, galten sie weiten Teilen der Bevölkerung als fremd. Dass ein solcher G‘tt ebenso erhabener und stark sein könnte wie ihre Götter aus Gold, war vielen antiken Zeitgenossen unverständlich. Jüdinnen und Juden wurden Gründe unterstellt, ihren G’tt vor Fremden zu verbergen. Antike judenfeindliche Traditionen greift der römische Geschichtsschreiber Tacitus (50-120 u.Ztr.) in seinen „Historien“ auf und verbreitet sie: JüdinnenJuden seien wegen des Ruhetages am Schabbat faul, sie seien die Seuche, die der Pharao zu vertreiben befahl (Exodus) und Tacitus verspottet die JüdinnenJuden, weil sie einen Esel als G‘tt verehren würden.


Weil im Judentum auch solche Nichtjüdinnen/-juden als Gerechte gelten, die die Noachidischen Gebote einhalten (vgl. Gen 9,1-13), wurden diese nicht angegriffen. Das Judentum haben römische Kaiser bis Caligula (37-41 u.Ztr) auch aufgrund seines hohen Alters grundsätzlich toleriert, sofern politisch die römische Herrschaft geachtet wurde. Ihm wurde nach der Einnahme Jerusalems durch Pompeius 63 v.u.Ztr. – vor allen während der Herrschaft des Augustus (31 v.u.Ztr. – 14 u.Ztr.) – grundsätzlich Religionsfreiheit gewährt. Deshalb waren JüdinnenJuden vom Kaiserkult und Vereinsverbot dispensiert, sie durften sich in Synagogen versammeln. Zudem behielten sie weitgehend ihre eigene Gerichtsbarkeit – abgesehen vom Todesurteil.


Verwendete Literatur in Auswahl: Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977; Martin, Bernd, Schulin, Ernst, Hrsg., Die Juden als Minderheit in der Geschichte, München (2. Aufl.) 1982; https://www.christen-und-juden.de/html/tacitus.htm; https://www.christen-und-juden.de/index.htm html/gierlich.htm; https://de.wikipedia.org/wiki/Noachidische_Gebote#Die_Noachidischen_Gebote


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tod Jesu? (V b-2)

Von diesen verschiedenen Richtungen bzw. Gruppen, die zeitlich und räumlich nebeneinander lebten, sind etwa folgende sich als thoratreu verstehende, sog. Judenchristen historisch nachweisbar: A) Ebioniten (hebr. „Arme“, in der Tora werden die Gottesfürchtigen als „Ebionim“ bezeichnet [vgl. 1 Sam 2,8, Ez 22,29, Am 5,12]); einige von ihnen glaubten an Jeschua / Jesus als den Maschiach / Messias, bestritten allerdings seine Göttlichkeit, lehnten Paulus und seine Briefe ab und sprachen wahrscheinlich Aramäisch; andere erkannten die Göttlichkeit Jeschuas / Jesu an, feierten außer dem Schabbat den Sonntag und mit Nichtjuden das Abendmahl. (B) die Nazarener (in Apg 24,5 bezeichnet der Römer Tertullus Paulus als einen Anführer der „Nazoräer“) sahen Jeschua / Jesus als G’ttes Sohn an und glaubten an den Heiligen Geist und die Jungfrauengeburt; der Kirchenvater Hieronymus hielt sie im 5. Jahrhundert für eine jüdische Sekte. C) Darüber hinaus gab es Gruppen, die an Jesus als Messias und Propheten glaubten und einige Teile der Bibel ablehnten.
Sog. Judenchristen bildeten eine starke Fraktion, wie die Berufung Beschnittener zu Bischöfen bzw. bevollmächtigten Oberhäuptern der Jerusalemer Gemeinde in der Nachfolge des Jakobus – einer „Säule“ (Gal 2,9) der Urkirche – bis in die Zeit zum Aufstand des Schimon Bar-Kochba (dt.: Sternensohn, 132-136 u.Ztr.).
Das Wort „Christen“ ist nach dem Zeugnis der griechischsprachigen, lukanischen Apostelgeschichte eine Fremdbezeichnung der (jüdischen) Bevölkerung Antiochias für die messianisch-jes(ch)uanisch Eingestellten (vgl. Apg 11,26), wobei der Exeget Franz Delitzsch im hebräischen Zweiten (Neuen) Testament (Berit chadascha), für diese Gruppe den Ausdruck „Messianische“ (משיחיים meschijchijjim) verwendet.
Einen vorläufigen Abschluss dieser Entwicklung dokumentiert der Brief von Irenäus von Antiochia an die im Westen Kleinasiens beheimateten Magnesier (Kap. X; 100-110 u.Ztr.), in dem der Ausdruck „Christianismos“ (dt. das Christentum) erstmals auftaucht.

Verwendete Litertaur: z.B. Brumlik, Micha, Entstehung des Christentums, Berlin 2010, S. 18-47; Heer, Friedrich, Gottes erste Liebe. 2000 Jahre Judentum und Christentum, München u.a. 1967, S. 50-62; Jedin, Hubert, Hg., Handbuch der Kirchengschichte. Band I. Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Freiburg u.a. 1963, S. 73-79, 91-92, 133, 180-186; https://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgungen_im_Römischen_Reich; https://de.wikipedia.org/wiki/Ebioniten#cite_ref-7; https://de.wikipedia.org/wiki/Nazarener_(Religion)#Im_ersten_Jahrhundert; https://library.biblicalarchaeology.org/article/was-the-gospel-of-matthew-originally-written-in-hebrew/; https://de.wikipedia.org/wiki/Brief_des_Ignatius_an_die_Magnesier.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tod Jesu? (V-b1)

Die Passionserzählungen sind auf dem Hintergrund des sich aus dem vielfältigen Judentum herauslösenden und sich differenzierenden neuen Glaubens an Jesus als den Maschiach (hebr., griech. Transkription Messias) zu verstehen. Dieser Glaube entfaltet sich in verschiedene Richtungen
Die JüdinnenJuden, die Jeschua / Jesus für den Maschiach hielten, sahen sich anfangs als jüdische Erneuerungsbewegung. So wandten sich deren Missionare „zuerst an die Juden und predigten in ihren Synagogen“ (Brüggenboes, vgl. Apg 13,9.14; 14,1; 17,2.17; 18,4.26; 19,8), die im ganzen Imperium Romanum verbreitet waren. Dabei trafen sie römische, polytheistische Staatsbürger aller Nationen, die die als hedonistisch und dekadent empfundene Lebensweise ihrer Oberschicht abstieß und sich religiös neu orientierten (sog. Gottesfürchtige in Apg 13,16; 16,14; 17,17; 18,7). Weil JüdinnenJuden, die Jeschua / Jesus für den Maschiach / Messias hielten, sich bisher an die mosaischen Gebote hielten (z.B. Kaschrut [Speiseregelungen], Brit Mila [Beschneidung], Zeremonialgesetze), stellte sich die Frage nach deren Verbindlichkeit für nichtjüdische Interessierte an der sich herausbildenden Gemeinde. Eine Abweisung dieser Gläubigen bzw. eine offene Spaltung wurde durch das Apostelkonzil zunächst vermieden (vgl. Apg 15, Gal 2,1-10). Damit bzw. danach stellte sich die Frage, ob diese Messiasgläubigen sich noch als eine jüdische Gruppierung verstehen konnten. Weiterhin hielten sich vor allem ehemalige Jüdinnen*Juden weiterhin an mosaische Gebote. Daraus erwuchsen verschiedene Richtungen, die sowohl innerhalb der entstandenen Gemeinden nebeneinander existierten als auch eigene Gemeinden bildeten. Aus der Perspektive jüdischer, nicht jes(ch)uanisch-messianischer Gruppierungen betrachtet sind diese Personen der Tora gegenüber untreu und abtrünnig. Von diesen verschiedenen Richtungen bzw. Gruppen, die zeitlich und räumlich nebeneinander lebten, sind sich als thoratreu verstehende, sog. Judenchristen wie etwa Ebioniten und Nazarener historisch greifbar.

Verwendete Literatur: z.B. Brüggenboes, Wilhelm, Kirchengeschichte, Düsseldorf 1972, S. 9-15; Brumlik, Micha, Entstehung des Christentums, Berlin 2010, S. 18-47; Heer, Friedrich, Gottes erste Liebe. 2000 Jahre Judentum und Christentum, München u.a. 1967, S. 50-62; Jedin, Hubert, Hg., Handbuch der Kirchengschichte. Band I. Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche, Freiburg u.a. 1963, S. 180-186; Poliakov, Léon, Geschichte des Antisemitismus. I. Von der Antike bis zu den Kreuzzügen, Worms 1977, S. 16; https://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgungen_im_Römischen_Reich.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tod Jesu? (V a)

Weshalb inszenierten vor allem die synoptischen Evangelien zeitlich vor dem römischen Zivilprozess unter Leitung des römischen Prokurators Pontius Pilatus eine eigenständige jüdische Gerichtsverhandlung, in der Jeschua (hebr., gr. Jesus) verurteilt wird? Warum schieben alle Evangelien die Schuld in Richtung der Juden anstatt – historisch richtig – die römische Besatzungsmacht vertreten durch den Statthalter eindeutig als allein verantwortlich darzustellen?


Der alleinige, an sich richtige Verweis darauf, dass die Passionserzählungen keine historischen Berichte sind und keine Prozessprotokolle sein wollen, läuft Gefahr, die Verantwortung der Evangelien für die verheerenden Folgen des Gottesmordvorwurfes zu relativieren und zu verharmlosen, der zur Rechtfertigung von Judenverfolgungen schlimmsten Ausmaßes herangezogen wurde. Zudem: wer mit diesem Verweis das Abwälzen der Schuld am Tod Jesu auf Juden bagatellisiert, stellt sich bis heute auf die Seite der Römer, also der Täter, und setzt gleichzeitig andere Textelemente der Leidenserzählungen wie den engagierten und engagierenden Glauben an Jesus als den Maschiach bzw. Sohn G‘ttes herab.
Die Entstehung dieser Erzählungen ist in einen historischen Zusammenhang eingebettet und von den zeitgenössisch sich entfaltenden Konflikten geprägt. Die Schuldzuweisung an Juden für den Tod Jeschuas / Jesu ist mithin in den Entstehungskontext der Evangelien zwischen 70 und 110 u.Ztr. einzuordnen. Dieser ist von folgenden ineinandergreifenden Zusammenhängen geprägt: im Verlauf des ersten Jahrhunderts u.Ztr. bilden sich vielfältige sich als „christlich“ verstehende Glaubensrichtungen aus einem differenzierten Judentum sowie Mischformen während der Militärdiktatur der Römer heraus und entwickeln sich weiter. Zu den verschiedenen Richtungen im Judentum und in den entstehenden christlichen Gemeinden wie zur römischen Herrschaft haben sich die Passionserzählungen positioniert.


Hr. Norbert C. Schmeiser

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Wer war schuld am Tod Jesu? (IV)

Um die Frage zu klären, „ob überhaupt eine regelrechte Gerichtsverhandlung des Synedrions stattgefunden hat“ (Söding), sind die Passionserzählungen (vgl. Mk 14,43-16,6, Mt 26,47-28,8, Lk 22,47-24,12 und Joh 18,1-20,18) mit den jüdischen Rechtsvorgaben jener Zeit abzugleichen.


Nach Joh 18,12-13 sei die Verhandlung vor Hannas nicht öffentlich gewesen, obwohl dies untersagt war. Gemäß Mt 26,59 und Mk 14,55 hätten „die Hohenpriester und der ganze Hohe Rat“ anfangs nach Zeugen gegen ihn gesucht und nach Mt 26,66 hätte der Hohe Rat hätte einstimmig für schuldig votiert (so auch Mk 14,64 und Lk 22,71), demgegenüber muss der Angeklagte zunächst verteidigt werden und nicht alle dürfen für „schuldig“ plädieren. Ein einmütiger Schuldspruch zeigte nach jüdischem Recht die Unschuld des Angeklagten, weil bei Einstimmigkeit von 23 Personen, die im Hohen Rat mindestens anwesend sein mussten, eine Verschwörung vermutet wurde. Danach hätten Jeschua / Jesus freilassen müssen.

Ein Schuldspruch verlangt zwei übereinstimmende Zeugen, die sich nach Mk 14, 55-59 (par. Mt 26,59-60) nicht fanden – nach jüdischem Gesetz hätte Jeschua / Jesus dann freigesprochen werden müssen. Laut Mk 14,60 und Mt 26,62 überlässt Kaiphas dem Beschuldigten die Gelegenheit, sich selbst zu belasten, was verboten war, um Taten in Suizidabsicht zu verhindern. Laut Mk 14,63 (par. Mt 26,65) zerreißt Kaiphas dann sein Gewand, obwohl dies nach Leviticus 21,10 untersagt war, er klagt Jeschua / Jesus der Gotteslästerung an, obwohl Richter keine Anklagen erheben durften, und will ihn aufgrund seiner eigenen Aussage verurteilen, was verboten war. Zudem galt nur das buchstäbliche Aussprechen des Gottesnamens als todeswürdige Gotteslästerung (Sanhedrin 7,5), was Jeschua / Jesus laut Schilderung der Evangelien nicht getan hatte. Mk 14, 64 (par Mt 26,66) lässt den Hohen Rat danach – nächtens – per gemeinschaftlich durchgeführter Akklamation das Todesurteil sprechen, die Schuld durfte erst 24 Stunden nach der Verhandlung in einer individuellen Abstimmung mit dem Jüngsten beginnend zugesprochen und das Todesurteil erste 3 Tage danach verkündet werden. Richter musste sich freundlich verhalten und der Verurteilte durfte vor der Hinrichtung weder gewaltsam festgehalten noch ausgepeitscht werden, auf Schläge und Anspucken standen Geldstrafen – Mk 14,65 und Mt 26,67 stellen diese Misshandlungen Jeschuas / Jesu dar (bei Lk vor der Verurteilung 22, 63-65).


Weil die Römer innertheologische Debatten nicht interessierten, kann die Besatzungsmacht keine Veranlassung gesehen haben, „aufgrund einer Klage der jüdischen Priesterschaft wegen Missachtung jüdischer Religionsgesetze gegen Jesus vorzugehen, wie die Passionsgeschichten der Bibel unterstellen“ (Kopp). Deswegen hat die Auslieferung an Pilatus (vgl. Mk 15,1, par Mt 27,2, Lk 23,1-2) allenfalls einen Wert als literarischer Übergang ohne geschichtliche Bedeutung.


Die Fülle an Widersprüchen zu Regelungen des Prozessrechtes zeigt: so wie die Evangelien die Befragungen durch Hohepriester und die Gerichtsverhandlungen vor dem Hohen Rat schildern können diese „nach allem Wissen über die Verfahrensvorschiften … nicht stattgefunden haben“ (https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/). Der Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums, Gerd Lüdemann schlussfolgert: „die Verhandlung vor dem Hohen Rat hat ja nicht stattgefunden“. In jedem Fall ist „die Vorstellung, die jüdischen Behörden … hätten eine …Mitverantwortung für die Verurteilung Jesu ist historisch und rechtlich nicht haltbar“ (Kopp).
Verwendete Literatur: Cohn, Chaim, Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, Berlin 2017; Holger Fröhlich im Interview mit Christian Wiese, Von der Schuld am Tode Jesu: Eine Spurensuche, in: https://brefmagazin.ch/artikel/von-der-schuld-am-tode-jesu-eine-spurensuche/; Fruchtenbaum, Arnold G., Das Leben des Messias. Zentrale Ereignisse aus jüdischer Perspektive, Hünfeld (8. Aufl.) 2015, 83-102; Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus, Zürich u.a. (3. Aufl.) 1979, S. 284-289, 284-285; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009); Söding, Thomas, Der Prozeß Jesu, in: Herder Korrespondenz, 41. Jahrgang, Heft 5, Mai 1987, S. 236-240, 238.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer er war schuld am Tode Jesu ? (III)

Wer sich der alleinigen Verantwortung der römischen Besatzungsmacht für das Todesurteil gegen Jeschua (hebr., gr. Jesus) bewusst ist, stellt sich die Frage, wie damit der Todesbeschluss des Hohen Rates (Synedrion) in den synoptischen Passionserzählungen vereinbar ist.


Laut den Synoptikern wurde Jeschua / Jesus vom Hohen Rat, der grundsätzlich 71 Personen umfassenden, obersten jüdischen Verwaltungs- und Justizbehörde, befragt und zum Tode verurteilt (vgl. Mk 14,55-64; Mt 26,59-66, 27,1, Lk 22,66-71; über den Prozess vor dem jüdischen Gerichtshof sagt das Johannesevangelium nichts – außer dass Jeschua / Jesus zu Kajaphas geschickt wurde – vgl. Joh 18,24).
Für Kapitalprozesse besaß die oberste jüdische Gerichtsbehörde unter der römischen Besatzungsherrschaft keine Kompetenz, zu verhandeln und Todesurteile zu fällen – mit der einzigen Ausnahme der heidnischen Tempelschändung, die hier nicht gegeben war. Deshalb wird das Synedrion „ein förmliches Todesurteil … kaum ausgesprochen haben“ (Gnilka).


Nach der Darstellung des Markus- und Matthäusevangeliums habe der Prozess nachts stattgefunden (vgl. Mk 14,17.53-64; Mt 26,20.31.34). Ein Kapitalprozess durfte nach jüdischem Recht aber nicht in der Nacht stattfinden. Indem dessen Ende auf die frühen Morgenstunden verlegt wird (vgl. Mk 15,1; Mt 27,1) und Lukas den Prozess komplett am Morgen stattfinden lässt (vgl. Lk 22,66-71), bekommt er einen legalen Anschein.


Den synoptischen Evangelien folgend sei der Prozess am Vorabend des Pessach-Fests (hebr. פֶּסַח) durchgeführt worden (vgl. Mk 14,12.17f; Mt 26,17-19.20; Lk 22, 1.7-8,15). An diesem Vorabend, dem Erew Pessach, wird allerdings das symbolträchtige Seder-Festmahl gehalten – er ist einer der heiligsten Tage der Juden (vgl. Ex 12,14-20). Darum werden dann keine Gerichtsverhandlungen geführt. Schon am Schabbat oder einem anderen Festtag durfte nach der älteren Halachah, der Gesamtheit jüdischer Rechtsvorschriften, kein Gerichtsprozess stattfinden. Er konnte auch deshalb nicht auf den Vorabend vorgezogen worden sein, weil in jüdischer Zeitbetrachtung der Tag am Vorabend beginnt (vgl. Gen 1,5.8.13, 19, 23, 31).

Weitergehend stellt sich die Frage, „ob überhaupt eine regelrechte Gerichtsverhandlung des Synedrions stattgefunden hat“ (Söding).


Verwendete Literatur: Baumann, Arnulf, H., Hg., Was jeder vom Judentum wissen muß, Gütersloh, (4. Aufl.) 1987, S. 140; Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977, S. 54-55; Cohn, Chaim, Der Prozess und Tod Jesu aus jüdischer Sicht, Berlin 2017; Holger Fröhlich im Interview mit Christian Wiese, Von der Schuld am Tode Jesu: Eine Spurensuche, in: https://brefmagazin.ch/artikel/von-der-schuld-am-tode-jesu-eine-spurensuche/; Fruchtenbaum, Arnold G., Das Leben des Messias. Zentrale Ereignisse aus jüdischer Perspektive, Hünfeld (8. Aufl.) 2015, 87; Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus, Zürich u.a. (3. Aufl.) 1979, S. 284-289, 284-285; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009); Nachama, Andreas u.a., Basiswissen Judentum, Bonn 2018, S. 269-270; Pawlikowski, John T., Catechetics and Prejudice: How Catholic Teaching Materials View Jews, Protestants and Racial Minorities, New York u.a. 1973, S. 79-86, 100-107; Salomon, Norman, Judentum. Eine kurze Einführung, Stuttgart 1996, S. 71-73; Söding, Thomas, Der Prozeß Jesu, in: Herder Korrespondenz, 41. Jahrgang, Heft 5, Mai 1987, S. 236-240, 238.

Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer war schuld am Tode Jesu ? II

Anders als die historisch fundierte Analyse (Teil I), die die Verantwortung der römischen Besatzungsmacht für den gewaltsamen Tod Jeschuas (hebr.; gr. Jesu) begründet, geben die Passionserzählungen der Evangelien – in unterschiedlichen Graden – Juden die Schuld an der Exekution Jesu.
In den nach Matthäus und Lukas bezeichneten Evangelien unbekannter Autoren stiften Juden Römer dazu an, Jeschua / Jesus zu töten. Im Matthäusevangelium werden die jüdischen Oberen als boshafte Strippenzieher und die Römer als Instrumente ihrer Machenschaften dargestellt. Letztere werden auch entlastet, wenn das Lukasevangelium ausgerechnet den römischen Hauptmann sagen lässt: „Wirklich, dieser Mensch war ein Gerechter“ (Lk 23,47). Diese Aussage verschiebt die Schuldfrage in Richtung der Juden. Nach dem in der Karfreitagsliturgie regelmäßig verlesenen Johannesevangelium hätten „die Juden“ die Kreuzigung Jeschuas / Jesu eingefordert, obwohl Pilatus den „König der Juden“ hätte freilassen wollen. Der römische Statthalter hätte ihn an „die Juden“ übergeben, die ihn dann sogar selbst gekreuzigt hätten (vgl. Joh 19,18), obwohl deren Hinrichtungsart die Steinigung war. Dieser Vergleich zeigt auch, dass die Evangelien nicht darin übereinstimmen, wer für Urteil und Kreuzigung verantwortlich gemacht wird.Dass es historisch unhaltbar ist, den römischen Statthalter von Schuld zu entlasten bzw. frei zu sprechen und Juden dafür verantwortlich zu machen, wird auch am Bild deutlich, dass die Evangelien von Pontius Pilatus entwerfen. Denn dieses ist nicht mit dem Zeugnis profaner Quellen des 1. Jahrhunderts vereinbar. So zeigen der Philosoph Philo und der Historiker Flavius Josephus diesen römischen Statthalter als einen grausamen Herrscher, der fortwährend Menschen ohne Urteilsspruch hinrichten ließ. Ihnen zufolge schlug er nicht nur den jüdischen Protest gegen den Missbrauch des Tempelschatzes für den Bau einer Wasserleitung mit brutaler Gewalt nieder, sondern ließ auch eine große Menge von Galiläern niedermetzeln, als diese ihre Opfer im Jerusalemer Tempel darbrachten. Unter seiner Herrschaft von 26 bis 36 n.d.Ztr. wurden etwa 6000 jüdische Menschen hingerichtet – das sind im Durchschnitt täglich 1,64 jüdische Personen. Wegen der Ermordung von Samaritanern, die sich zum Berg Garazim aufmachten, wurde Pontius Pilatus als Prokurator abgesetzt und musste sich danach in Rom verantworten. Es ist nicht vorstellbar, dass ein diktatorisch herrschender Militärverwalter sich von den von ihm unterdrückten Juden vorschreiben ließ, wen er seinen römischen Soldaten zur Kreuzigung übergab und wen nicht.
Verwendete Literatur: Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977, S. 50-51; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Küng, Hans, Das Judentum, München 1991, S. 408-411; Linke, Georg, Wer war schuld am Tode Jesu? Die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes in Gottes Bund, in: https://www.theologie-naturwissenschaften.de/diskussion/blog-georg-linke/einzelansicht/wer-war-schuld-am-tode-jesu vom 10.03.2011; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009); Ritt, Hubert, Wer war schuld am Tode Jesu? Zeitgeschichte, Recht und theologische Deutung, in: Biblische Zeitschrift, Heft 2, 31. Jahrgang 1987, S. 165-175, 168, 172.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Wer ist schuld am Tode Jesu? I

Jährlich zur Passions- und Osterzeit wird die Schuldfrage am Tode Jeschuas (hebräisch; grechisch Jesu) neu gestellt. Diese ist auf dem Hintergrund der Besetzung des südöstlichen Mittelmeerraumes durch die Römer zu beantworten. Denn diese haben über die von ihnen errichtete Provinz Judäa einen Statthalter (Prokurator) des römischen Kaisers eingesetzt. Wie in den anderen Provinzen galt Militärverwaltung. Der Statthalter war mithin der Kommandant römischer Truppen. Vier Kohorten waren in seiner Residenz Cäsarea stationiert, von denen eine immer in Jerusalem in der Burg Antonia lag. Mit einer weiteren Kohorte kam der Statthalter zu den großen Festen nach Jerusalem. Zudem war er nicht nur dafür zuständig, Steuern und Zölle einzutreiben, sondern als auch oberster Militärrichter hatte nur er das Recht, die Todesstrafe zu verhängen und vollstrecken zu lassen. Deshalb wurde Jeschua / Jesus auf Befehl des Prokurators Pontius Pilatus hingerichtet. Das geschah nach römischer Hinrichtungsart, nämlich Verurteilte kreuzigen zu lassen. Menschen wurden für Verbrechen mit politischer Bedeutung vor allem Anstiftung zum Aufruhr, Desertion zum Feind, Geheimnisverrat etc. zur Kreuzigung verurteilt. Aus der Perspektive der römischen Besatzungsmacht war Jeschua / Jesus jemand, der durch seine Anhängerschaft und als Unruhestifter im Tempelbezirk eine politische Gefahr darstellte. Dementsprechend nennt das Markusevangelium als Grund für seine Hinrichtung die Inschrift „Der König der Juden“ (Mk 15,26). Diese Kennzeichnung spiegelt die römische Perspektive wider. Ein „König der Juden“ hätte den Herrschaftsanspruch des römischen Reiches infrage gestellt und zwar unabhängig davon, wie Jesus sein eigenes Königsein verstanden hat. Weil die römische Besatzungsmacht einen jüdischen Aufstand fürchtete und sich von den unterdrückten Völkern kein Todesurteil diktieren ließ, kommt nur sie als die Instanz in Frage, die die Kreuzigung initiiert und vollstreckt hat.


Verwendete Literatur: Dommershausen, Werner, Die Umwelt Jesu, Freiburg 1977, S. 46-48; Feldmann, Christian, Henker oder Heiliger? In: Konradsblatt Nr. 14/15/16, 2023 S. 38-39; Gnilka, Joachim, Das Evangelium nach Markus, Zürich u.a. 1979, S. 285; Kopp, Eduard, Wer ist schuld am Tod Jesu? in: https://chrismon.de/artikel/872/wieso-die-behauptung-juden-seien-schuld-am-tod-jesu-historisch-nicht-haltbar-ist vom 7.10.2010; Küng, Hans, Das Judentum, München1981, S. 407-428; https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/religion-rk/gym/bp2016/fb7/2_anti/1_mat/05_m4/; Linke, Georg, Wer war schuld am Tode Jesu? Die bleibende Erwählung des jüdischen Volkes in Gottes Bund, in: vom 10.03.2011; Lüdemann, Gerd, Wer war schuld am Tode Jesu? in: https://www.welt.de/welt_print/article3529990/Wer-war-schuld-am-Tode-Jesu.html vom 09.04.2009; Ritt, Hubert, Wer war schuld am Tod Jesu? In: Biblische Zeitschrift, 31. Jahrgang, Heft 2, 1987, S. 165-175, 172-175; Söding, Thomas, Der Prozeß Jesu, in: Herder Korrespondenz, 41. Jahrgang, Heft 5, Mai 1987, S. 236-240, 238).


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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Neues Buch über die Geschichte der dominikanischen Laien

Der Laiendominikaner Edoardo Mattei hat 2019 ein Buch über die Geschichte der dominikanischen Laien geschrieben. Nun wurde es von Ruth Anee Henderson in die englische Sprache übersetzt. Eine Beschreibung des Buches mit Bestellnummer finden Sie anbei:

The history of the Dominican laity is little known; it originated with the Orders of Penitents in the 10th and 11th centuries. The book retraces this long history, offering new information in addition to the familiar sources and commemorating the lay members of the Dominican Order who lived in those days.
The author, himself a lay Dominican, tells the story to all those who are eager to know about lay Dominicans, to those who have already encountered them, to those in formation, to those who are already members of the Dominican laity and never stop seeking the truth.

ASIN ‏ : ‎ B0CWRP1QG7 Herausgeber ‏ : ‎ Independently published (28. Februar 2024) Sprache ‏ : ‎ Englisch Taschenbuch ‏ : ‎ 129 Seiten ISBN-13 ‏ : ‎ 979-8880052349

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„The Other Sisters“

Der Erforschung von Frauen, die im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Westeuropa (c.a. 800–1500) Formen des religiösen Lebens außerhalb des Klosters suchten und praktizierten, widmet sich das Projekt „The Other Sisters“. Es will herkömmliche Narrative (Erzählmuster) der traditionellen Geschichtsschreibung über diese Frauen überdenken. Dazu zählt deren Darstellung als marginales Phänomen. Diese Sichtweise hängt mit der Vorstellung zusammen, das Leben vormoderner Frauen hätte sich nur zwischen den zwei Alternativen Ehe oder Kloster („aut maritus aut murus“) abgespielt. Durch dieses Konstrukt werden Frauen in zwei Gruppen aufgeteilt und ihren gelebten Erfahrungen werden künstliche Kategorien auferlegt. Demgegenüber spielten viele nicht-klösterliche Ordensfrauen in religiöser und sozialer Hinsicht eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft. Durch diese neue Sichtweise werden ihre bisherige Klassifizierung samt Terminologie problematisiert – auch im Zusammenhang mit der Übersetzung in verschiedene Sprachen. Zudem werden Organisation und Selbstidentifikation bestimmter Gruppen, die Suche dieser Frauen nach Identität im Umfeld neuer Ordnungen sowie Hinweise auf kulturellen Austausch und Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlichen Gruppen sowie Übergänge zwischen ihnen und zu formellen institutionellen Gemeinschaften im Laufe der Zeit untersucht. Zu diesen Frauen gehörten unter anderem Beginen, Tertiärinnen, Büßerinnen, Einsiedlerinnen, Oblatinnen und weltliche Stiftsdamen. Viele von ihnen passten nicht genau in die institutionellen Parameter. Sie waren besonders zahlreich in Städten und kamen aus unterschiedlichen sozialen Hintergründen – im Gegensatz zu ihren Klosterschwestern, die überwiegend aus adligen und patrizischen Verhältnissen stammten.


Die neue Definition und Kontextualisierung der Erfahrungen dieser Frauen ermöglicht es, das historiografische Standardbild zu korrigieren. Dadurch trägt das Forschungsprojekt zur Klärung der Stellung religiöser Frauen in Kirche und Gesellschaft bei.


Hr. Norbert C. Schmeiser OP

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